Viña del Mar – Valparaiso – Santiago de Chile
Nun hatte ich mich also in die «Sackgasse von La Serena» manövriert. Aber es war egal, denn die spassige Zeit mit den drei wilden Argentinern war es auf jeden Fall wert. Eigentlich war ich ja nicht einmal in einer Sackgasse gelandet, sondern es wurde halt für ein paar Tage nun halt ein Bisschen mühsam, denn es standen 450 langweilige Kilometer auf der Autobahn an. Jup, das Wort Autobahn hat, wie auch in Mexiko, in Chile eine ganz andere Bedeutung als bei uns und man kann getrost auch mit dem Velo auf die Autobahn. Es hätte zwar schon noch eine, wohl relativ schöne, Strecke durch die Berge gegeben, aber die hätte mindestens nochmals 2 Wochen Reisezeit bis nach Santiago in Anspruch genommen.
So verabschiedete ich mich nach einem ausgiebigen Frühstück von den drei Spassvögeln und zirkelte durch das Wirrwarr von La Serena gegen das Südende der Stadt zu und stellte mich auf ein paar mühsame Autobahntage ein. Obschon die Strasse flach der Küste entlang führte, war sie weder flach, noch sah man etwas vom Meer. Vielmehr stieg und fiel die Strasse unaufhörlich immer wieder um ein paar Meter und so kamen auch an den Autobahntagen locker über 1000 Höhenmeter zusammen. Und der Verkehr Richtung Santiago war schrecklich. Ich hatte nun zwar gut 2 Meter Platz für mich auf dem Seitenstreifen, aber das ständige Brummen der unzähligen Lastwagen ging mir schon von Anfang an auf den Wecker. Dazu kam, dass in diesen Breitengraden einem der starke Wind nonstop von schräg vorne ins Gesicht schlug. So schleppte ich mich während Stunden zum Lärm der Lastwagen, gefangen zwischen den für Chile typischen Zäunen am Strassenrand, mit einer erbärmlichen Durchschnittsgeschwindigkeit gegen Süden. Mit jeder Pedalumdrehung nahmen die Gedanken zu, auf der nächsten Raststätte einen Lastwagenfahrer anzusprechen und den Göppel einfach aufzuladen und innert weniger Stunden in Santiago anzukommen. Aber ich konnte mich schlussendlich zurückhalten. Zu nahe war ich nun schon am Ziel, Ushuaia, und es war noch immer möglich alles lückenlos mit dem Velo zu fahren – also war Bescheissen nun halt auch hier leider keine Option und ich quälte mich weiter gegen den Wind. Um möglichst effizient vorwärts zu kommen fand ich es eine super Idee, direkt auf den Raststätten zu zelten – bei vollem Scheinwerferlicht und Motorenlärm. Ja meine Ideen waren nicht immer die Besten. Aber der Drang der Chilenen, jedes noch so kleine Stückchen Land mit einem 2 Meter hohen Hochsicherheitszaun zu umzäunen erstickte die Lust auf Wildzelten sowieso gleich im Keim.
Nach vier langen und ereignislosen Tagen erreichte ich endlich die Stadt Viña del Mar.
Hier wurde ich schon von Mauricio erwartet und ich freute mich sehr, mich ein paar Tage von den kräftezehrenden Tagen auf der Autobahn zu erholen. Es kam anders. Mit Mauricio verstand ich mich von Anfang an super. Nebst mir war auch noch Nathalia am couchsurfen und als dann noch Paul eintraf, war Ausruhen erst mal verschoben. Viel zu beschäftigt waren wir mit kochen, essen, spielen und plaudern bis in die frühen Morgenstunden. Und dann war auch gleich schon wieder volles Tagesprogramm angesagt, denn wir wollten die Nachbarstadt Valparaiso besuchen. Valparaiso ist eine ziemlich spezielle Stadt. Fast alle Fassaden sind verziert mit meterhohen Wandgemälden. Und diese sind über die ganze Stadt verteilt. Die verschiedenen Cerros der Stadt, also die Hügel über welche sich die Stadt mittlerweile ausbreitet können bequem mit den antiken Schrägaufzügen erreicht werden. Auch ein Erlebnis für sich. Abends wurde ich dann in die Tradition des Melvin eingeweiht: eine mit Wein gefüllte Melone. Angeblich das chilenische Nationalgetränk, jedenfalls wenn es nach Mauricio und Paul ging. Auch diese Nacht gabs wieder kaum Schlaf, denn Paul schleppte uns kurzerhand mit an eine Untergrund Technoparty. Aiaiaiai die spinnen doch die Chilenen.
Eigentlich wollte ich ja das ganze Wochenende in Valparaiso verbringen. Dies wäre sicher super gewesen. Leider steckte Chile noch immer in einer sozialen Krise, welche sich in den Grossstädten an den Wochenenden in gewaltsamen Protesten gipfelte. In Valparaiso waren die Proteste am stärksten und bei den gewaltsamen Polizeieinsätzen verloren auch jeweils einige Demonstranten ihr Leben. Mein Gastgeber meinte, besonders für einen Gringo wäre die Situation zu gefährlich und riet mir daher, das Wochenende besser in Santiago zu verbringen. Auch dort tobten die Proteste, aber angeblich ein Bisschen weniger brutal als in Valparaiso.
So liess ich mein Velo für ein paar Tage in Mauricios Obhut und pilgerte mit dem Bus in die Hauptstadt. Ich erreichte Santiago am späten Freitag Nachmittag. Kein optimaler Zeitpunkt, denn um die Zeit begannen sich die Demonstranten zu gruppieren und die Proteste nehmen langsam aber sicher Fahrt auf. Auf Mauricions Empfehlung hin wollte ich mir ein Hostel im Stadtteil Bellavista suchen, mitten im Ausgangsviertel der Millionenstadt. Leider liegt das Viertel direkt hinter der Plaza Italia, dem Hauptbrennpunkt der Proteste. Und so war meine erste Aufgabe in Santiago auch gleich klar: Finde einen Weg um unbeschadet von der U-Bahn nach Bellavista zu kommen. Der direkte Weg führte geradewegs über die Plaza Italia. Mit einem grossen Schlenker über den alternativen Strassenmarkt in Bellas Artes und einem Slalom zwischen Gasmasken und Flaggen ging das eigentlich relativ elegant und ich quartierte mich in einem der unzähligen Hostels Bellavistas ein. Wo sonst wohl schon am frühen Abend wilde Partys stiegen, war es nun relativ ruhig, denn die Proteste schreckten die meisten Touristen immer noch ab und so war es relativ entspannt und gemütlich im Hostel. Nach dem Znacht nahm es mich dann doch noch Wunder wie das nun so zu und her ging auf der Plaza. Ich schlenderte gegen den Rio Mapocho und Plaza Italia zu. Eigentlich war es ganz cool. In Chile wo Alkohol normalerweise nur in bestimmten, lizenzierten Geschäften verkauft wird, wurde auf der Plaza Italia kurzerhand jeder zum Händler und in hunderten von Einkaufswagen wurden Cristal und Escudo angeboten. Die meisten Demonstranten hatten sich nun versammelt und veranstalteten mit Trommeln, Trompeten und Posaunen lustige Konzerte auf dem Platz. Es wurde getanzt und natürlich Bier getrunken. Es war ein richtig friedliches Beisammensein. Nur etwas speziell, dass alle bereits eine Gasmaske um den Hals gehängt hatten. Nach einer Stunde auf dem Platz zog ich mich zurück, denn es war nur noch eine Frage der Zeit bis die Polizei auffahren würde und sich die friedlichen Proteste in eine wilde Schlacht zwischen Demonstranten und Polizisten verwandeln würde. Es ging dann auch nicht lange als ich zurück im Hostel war, als ich mit den andern Gästen um die Wette weinte, denn das Tränengas strömte nun in dicken Schwaden durch ganz Bellavista und das Geknalle von Gummischrott, Feuerwerkskörpern und Steinen waren von weit her zu hören.
Ich war sowieso Hundemüde und ging schlafen. Yes, endlich mal richtig schlafen….. Gute Nacht.
Der nächste Tag versprach wieder mal volles Programm. Nach über zwei Jahren unterwegs hatte das Material ziemlich gelitten und einiges musste dringend ersetzt werden. Chile ist zwar um einiges teurer als die anderen Länder Südamerikas, aber dafür eines der einzigen Länder, wo qualitativ gute Ausrüstung überhaupt zu finden ist. Und es ist immer noch um einiges günstiger als in der Schweiz Outdoorsachen zu kaufen. Lustig war aber auch, dass in den Grossstädten Viña oder Valparaiso es so gut wie keine Outdoorläden gab. In der Hauptstadt hingegen, gab es sogar ein Shoppingcenter nur aus Outdoorläden, crazy. Und dort hin wollte ich nun. Das Center war wirklich eindrücklich. Nebst unzähligen Shops gab es sogar einen eigenen See im Center um Motorboote oder Tauchausrüstung zu testen und auf einer künstlichen Riesenwelle konnte man auch mal schnell ne Runde surfen gehen. Nach einem anstrengenden Tag in unzähligen Läden war ich neu ausstaffiert und ready für das wilde Klima Patagoniens.
Per Zufall erfuhr ich, dass los Pericos gerade heute in Santiago ein Konzert hatten. Und erst noch in Bellavista. Es hat gerade noch für eines der letzten Tickets gereicht und so stand ich endlich wieder mal im Gedränge von wilden Chilenen und genoss beste Livemusik, während es draussen bereits wieder knallte und sirente.
Am Sonntag stand dann noch ein Bisschen Sightseeing an (Santiago hat nicht sonderlich viel zu bieten) mit der besten Touristenführerin der Stadt, bevor es dann am Montag schon wieder zurück nach Viña ging. Eigentlich wollte ich ja dann direkt weiter fahren, aber das war nun einmal nicht so einfach und so vergingen noch ein paar weitere Tage mit viel Essen, Melvins, Schach und neuen Freundschaften in Viña del Mar.
Siete Tazas
Weiter gings dann endlich einmal wirklich entlang der Küste. Entlang von kleinen Dörfern schlängelte ich mich langsam gegen Süden zu. Das Klima in Küstennähe war viel angenehmer als im Landesinnern. Bei schönstem Wetter und einer leichten, kühlenden Brise vom Meer kam ich gut voran und erreichte bald den Touristenort Pichilemu, welcher Surfer aus dem ganzen Land anzog. Im Januar und Februar herrscht in ganz Chile Hochsaison wegen der Sommerferien. Dementsprechend voll war auch Pichilemu und ich ergatterte einen der letzten freien Plätze auf einem schäbigen Camping. Surfen hätte mich auch sehr angemacht, aber das wollte ich noch ein Bisschen aufsparen und erst in ein paar Tagen, etwas weiter südlich in einem Surfcamp direkt am Meer ein paar entspannte Tage einlegen.
Es gab aber plötzlich wieder mal eine der bekannten Planänderungen. Gabriel, ein in der Schweiz wohnhafter, chilenischer Freund, hat in den Bergen in der Nähe des Parque Nacional Siette Tazas ein kleines, aber unglaublich gemütliches Refugio. Kurzerhand hat er mich eingeladen, wenn gerade keine anderen Gäste im Haus währen, dort Pause zu machen. Das Angebot war zu verlockend um es abzulehnen und den Siete Tazas Park zu besuchen klang eh auch reizvoll. Also fuhr ich kurzerhand statt ins Surfcamp an der Küste wieder mal in eine komplett andere Richtung gegen die Berge im Landesinneren zu. Nicole, eine Freundin aus Santiago, hatte gerade eine Woche Ferien und schloss sich kurzerhand meinem Vorhaben an. Das Velo konnte ich in einer Feuerwehrstation unterwegs deponieren und bewaffnet mit Campingausrüstung und Proviant für eine Woche ging es los gegen den Siete Tazas Park. Gemäss Gabriel, war es ein wenig besuchter Park und dementsprechend wenig Vorschriften wären zu beachten. Gabriel war wohl schon lange nicht mehr im Park gewesen, denn schon der Bus hoch zum Eingang des Parks war bis auf den letzten Sitzplatz gefüllt mit wanderwütigen Feriengästen. Auch auf allen Campingplätzen, welche wir passierten, herrschte reges Treiben. Und das mit den wenigen Regulationen gehörte wohl der Vergangenheit an, denn bis wir endlich in den Park eingelassen wurden verging wieder einmal viel Zeit mit den leidigen Diskussionen, welches Billettli nun zu welchem Gringopreis für wen und was und wann berechtigte. Irgendwann gings dann doch und mit einer schriftlichen Erklärung, dass wir für all unser Handeln und nicht beachten der Vorschriften selbst verantwortlich wären, die Konsequenzen zu tragen hätten und der Park keine Schuld trage, durften wir in den Park rein – zusammen mit einer Heerschar anderer Gäste. Das Ziel war el Bolson, eine Region weit hinten im Park. Heute leider der einzige Ort wo noch offiziell gezeltet werden darf (auch das hat sich geändert). Die Menschenmassen verteilten sich nach und nach, aber auch el Bolson teilen wir mit rund 15 anderen Gruppen. Von hier aus erkunden wir den Park in Tagesausflügen, erklommen den Colmillo del Dablo (Teufelszahn). Die restlichen Tage vergingen entspannt im Refugio von Gabriel wo wir die müden Füsse und Seele baumeln liessen. Leider wars dann schon wieder Zeit weiter zu ziehen, denn auch andere Gäste wollten das Refugio noch für ein paar Tage geniessen.
Monkey Puzzle Trail
Wieder auf dem Velo, steckte ich nun halt wieder im Landesinnere von Chile und nicht mehr an der Küste. Dies bedeutete ein weiteres mal Panamericana statt Nebenstrasse, Verkehrslärm statt Meeresrauschen und eine drückende Hitze statt kühle Brise. Das gute jedoch war, dass ich nun in angenehm langen Tagesetappen jeweils eine grössere Stadt erreichen konnte. So empfingen mich die verschiedensten Warmshowers Gastgeber und trotz langweiliger Autobahntage blieben die Tage in guter Erinnerung. Chillian war die letzte grössere Stadt für den Moment und Carlos und seine Grosseltern die letzte Warmshowers Gastgeber. Nun gings auch wieder weg von der Autobahn in die Berge hinein. Ich plante dem «Monkey Puzzle Trail» durch die wunderschöne Vulkanlandschaft der Araucania Region mit den speziellen, gleichnamigen Bäumen zu folgen. Auch würde ich nun durch die Region der Mapuche Indianer fahren. Von denen hatte ich schon einige Geschichten gelesen, nicht nur gute. Die Mapuche sehen sich weder als Chilenen noch als Argentinier, sondern einfach als Mapuche. Heute besetzen immer mehr Mapuche Gebiete und Grundstücke, welche ihnen einst von der Regierung weggenommen wurden. So kommt es auch nicht selten vor, dass ein solches zurückerobertes Grundstück genau auf einem öffentlichen Weg liegt was angeblich schon zu mühsamen Auseinandersetzungen mit Veloreisenden geführt hatte. Ich war also gespannt auf die Velostrecke durchs Mapucheland.
Entlang des Bio-Bio Flusses fuhr ich immer weiter in die Centralchilenischen Anden hinein. Auf der Suche nach einem geeigneten Zeltplatz, gab mir die App iOverlander einen vielversprechenden Hinweis für einen schönen Zeltplatz am Fluss. Dort angekommen war ich etwas erstaunt, denn auf einem parkplatzähnlichen Areal standen jede Menge Autos herum und grosse Transparente verkündeten, dass dieses Gebiet von den Mapuche nun zurückerobert und besetzt wurde. Ich fand den Platz nicht sonderlich attraktiv zum übernachten. Dennoch ging ich auf die erste Gruppe zu, um mich doch noch genau zu erkunden, was denn hier eigentlich los sei. Die Autos gehörten alle chilenischen Feriengästen welche die Ferien am Fluss beim Grillieren, Fischen und Baden genossen. Es ging nicht sehr lange und der Fall war klar, dass ich doch hier zelten würde, denn die lustigen Gesellen hatten mich bereits voll in ihre Gruppe integriert und das kühle Bier und das langsam am Spiess drehende Lamm liessen mögliche Gedanken, doch noch weiter zu fahren, rasch zerplatzen. Offiziell waren die fünf Freunde zum Angeln hier. Geangelt wurde aber erstaunlich wenig für einen Angelausflug. Es ging viel mehr ums Biertrinken, Grillieren und Blödsinn machen – wie noch so oft in Chile. So verflog der Abend rasch. Am nächsten Morgen brauchte es einiges an Erklärungskunst, wieso ich nun nicht noch warten würde bis das zweite Lamm auch noch gebraten war und lieber noch etwas Velofahren würde.
Ich konnte mich also dem sich erneut anbahnenden Fleisch- und Bierfest entziehen und strampelte mich noch die letzten Meter hoch nach Ralco, von wo aus es dem Ufer des Bio-Bio Stausees entlang ging. Natürlich wars ab hier wieder unasphaltiert und der intensive Ferienverkehr machte die Strecke nicht gerade zu einem Genuss. Aber je weiter weg ich mich bewegte, desto mehr nahm auch der Verkehr ab und die gute Laune kehrte wieder zurück. Tags darauf erreichte ich die letzte grössere Mapuche Comunidad mit einem Laden. Im kleinen Geschäft wurde mir dann klar gemacht, dass die Strecke welche ich vor hatte zu fahren, leider nicht mehr befahrbar sei, denn der Weg führe nun durch zurückerobertes Gebiet. Na toll, jetzt sollte ich einfach wieder umdrehen oder was? Ach, das wird wohl irgendwie gehen… Also gings weiter. Erstmal musste ich aber den Fluss queren, welcher tief unter dem Dorf durch einen Canyon führte. Irgendwie schlitterte ich den steilen, staubigen Trampelpfad runter bis zu einer kleinen Fussgängerbrücke. Auf der anderen Seite ging es genau so steil aus dem Canyon raus. An fahren war nicht zu denken. An schieben genau so wenig. Die Option, alles Gepäck abzuladen und einzeln hochzutragen, war keine Option sondern die einzig plausible Möglichkeit, da irgendwie wieder raus zu kommen. Nach über einer Stunde hatte ich die 100 Höhenmeter fünf mal zurückgelegt und hatte nun meinen ganzen Krempel wieder auf Höhe des Dorfs, aber nun auf der anderen Flussseite.
Eine Mapuche Familie, welche mir entgegenkommt war zwar sichtlich erstaunt ab mir, aber sie waren viel freundlicher als ich mir das gedacht hatte. Und als ich mich dann doch noch durch den Stacheldraht eines zurück eroberten Grundstücks zwängen musste, war wohl gerade niemand zu Hause und alles klappte wie am Schnürchen. Leider wars noch nicht ganz vorbei mit der Mühsamkeit, denn der ganze Weg bis hoch zum Pass war weiterhin viel zu steil und ruppig, als dass ans Velofahren oder -schieben zu denken war. Es kamen mir noch zwei krasse spanische Bikepacker mit ihren 3″ breit bereiften Superbikes entgegen und lachen mich ein Bisschen aus. Auch fand ich es nicht gerade ermutigend, als sie mir klarmachten, dass ich auch die Abfahrt unmöglich fahren könnte mit meinem Setup – viel zu steil, viel zu ruppig, keine Chance. Nachdem ich dann über 3 Stunden für die 10 Kilometer hoch gebraucht hatte, stand ich dann endlich oben auf dem Pass. Ei, war das ein schöner Pass. So richtig wie in einem Märchenwald war es. Am liebsten hätte ich hier gleich gezeltet unter einem dieser grossen Zauberbäume. Aber ich hatte weder Wasser dabei, noch war es Zeit ans Schlafen zu denken. So nahm ich also die wilde Abfahrt unter die Räder. Wow, was für eine geile Abfahrt das war. Durch steile ausgewaschene Rinnen ging es rasant den Berg runter. Es rüttelte und schüttelte mich und das Velo ordentlich durch aber es machte auch riesig Spass. Die Spanier haben doch keine Ahnung….
Wichtig war nun einen Bach zu finden, einerseits um Wasser fürs Abendessen und zum Trinken aufzufüllen, andererseits sollte ich mich auch unbedingt waschen, denn der feine Staub hatte sich nun in einer ansehnlichen Schicht in jeder Ritze von mir und dem Gepäck eingenistet.
Ich stand nun vor den Toren zur Reserva Nacional Nalcas und Malalcahuello mit dem imposanten, 2865 m hohen Stratovulkan Lonquimay (hihi, die Berge sind hier so klein plötzlich) der erst noch im Jahr 1990 ausgebrochen war und für ordentlich Veränderung und Zerstörung in der Region gesorgt hatte. Der Weg führte noch immer durch die Märchenwelt aus Araukanien bis ich schlussendlich die Baumgrenze erreichte und durch die wüstenähnliche Landschaft die letzten Meter hoch gegen den Vulkan Lonquimay unter den Rädern hatte. Ich war noch relativ früh dran und guter Dinge es bis ins Dorf Lonquimay zu schaffen, wo ich dann wieder einmal die Vorzüge der Zivilisation geniessen könnte und vor Allem die Essensvorräte auffüllen. Aber wenn man ausgerechnet auf dem schönen Aussichtspunkt zu oberst noch auf einen anderen Velofahrer trifft, so wird halt schnell aus einer Fünfminutenpause ein zweistündiger Rast.
Rasant ging es dann die Schotterstrasse runter bis an eine Abzweigung, dann über eine Brücke und wie noch so oft stand ein weiterer Anstieg an. Es würde aber der letzte sein für heute, denn hinter diesem Pass lag dann das Dorf Lonquimay. Im nun einsetzenden Nieselregen krabbelte ich langsam die Serpentinen hoch. Immer lauter wurde der Lärm, welcher von irgendwo tief aus dem Wald zu mir runter dröhnte. Je höher ich kurbelte, desto intensiver wurde dieser und dementsprechend nahm auch meine Neugier zu. Das Rätsel war dann auch schon vor dem Erreichen des Passes gelöst: Ein Fest der Mapuche war gerade in vollem Gange. Immer zum Vollmond im Februar wird gefeiert. Dazu verlassen die Mapuche ihre Häuser in der Comunidad und ziehen auf das gemeinsame «Zeremoniengelände» im Wald. Das ganze muss man sich so vorstellen, dass aus Ästen und Zweigen kleine Unterstände gebaut werden. Pro Familie ein Unterstand. Dort wohnen, kochen, schlafen und essen die Mapuche während der Zeremonie, welche in diesem Fall 3 Tage und 3 Nächte dauerte. Die Unterstände sind dann in einem grossen Kreis angeordnet und in der Mitte finden die Tänze und Rituale statt. Am einfachsten wäre es mit einem Foto zu erklären, aber das gibt es leider nicht. Ich stoppte also am Eingang dieses eigenartigen Treibens und es dauerte nicht lange bis der Häuptling persönlich vorbei kam und mich begrüsste. Auch er ist ein ganz netter Kerli. Ich glaube die Mapuche sind alle ganz nette Leute. Er meinte, es wäre absolut kein Problem wenn ich der Zeremonie zuschauen würde, einfach Fotos durften keine gemacht werden. Daher gibt es nun halt auch keine. Aber ich habe ja eine lebhafte Erinnerung an die wilden Darbietungen mit Gesang, Musik, Kriegern auf Pferden, Schafen, Schamanen und vielem mehr. Der Häuptling bewachte mich natürlich die ganze Zeit, damit der Gringo auch sicher keine Fotos macht. Dafür beantwortete er all meine Fragen zu den Mapuche und deren Ritualen und Zeremonien. Den Name des Events hab ich trotzdem vergessen 🙁
Nach einer Weile hatte ich es gesehen, verabschiedete mich und kurbelte noch die letzten Meter auf den Pass hoch. Die Sonne verschwand nun schon fast hinter dem Horizont, denn ich habe wieder viel zu viel Zeit irgendwo verbracht… Aber da ich gerade an einem kleinen Hügel vorbei radelte, kletterte ich auch da noch schnell rauf, um den Sonnenuntergang zu schauen. Die Abfahrt musste ich nun halt im Stockdunkeln in Angriff nehmen und Lonquimay war immer noch über eine Stunde weit entfernt und um diese Zeit im Dorf eine schaue Übernachtungsmöglichkeit zu finden war auch eher fraglich. So gut es ging, versuchte ich mit der Stirnlampe mögliche Zeltplätze ausfindig zu machen. Viel schlaue Möglichkeiten sah ich nicht. Da alle Mapuche ja bekanntlich an ihrem Fest waren, konnte ich auch bei keinem der Häuschen um Campingasyl fragen. Irgendwann fand ich dann doch noch eine kleine Waldlichtung, knallte das Zelt irgendwie hin und krachte kurz vor Mitternacht todmüde in den Schlafsack. Manchmal staune ich schon, wie elegant ich es auch nach über zwei Jahren unterwegs noch immer schaffe, mich in solche Situationen zu manövrieren. Aber ist ja egal, es findet sich ja immer irgend eine Lösung, Hauptsache ich war am Mapuche Fest und hab den Sonnenuntergang gesehen 🙂
Am frühen Sonntagmorgen in Lonquimay war es dann gar nicht so einfach einen geöffneten Laden zu finden. Aber es war auch nicht unmöglich und schon bald verliess ich das Dorf auf einem brandneuen Veloweg – Wow. Ein weiterer kleiner Pass wartete auf mich. Auch hier traf ich irgendwann auf ein Grundstück, welches nun direkt über die Strasse führte und dementsprechend verriegelt war. Man stelle sich das mal hier in der Schweiz vor. Da erhebt einer Anspruch auf ein Stück Land und riegelt kurzerhand die Strasse einfach ab – zack, fertig, pasta! Das wär mal was…
Ich versuchte auf mich aufmerksam zu machen, aber niemand schien mich zu beachten, auch wenn ich genau gesehen habe dass sie mich gesehen haben. Aber einfach mal rein traute ich mich dann doch auch nicht so recht. Irgendwann kam ein Auto mit zwei chilenischen Fischern, welche auch durch wollen. Die gingen die Sache etwas anders an: Zack, waren sie einfach über den Zaun gesprungen und pfiffen nun, wortwörtlich, den Besetzer aus dem Haus. Nach gut fünf Minuten Diskutieren hatten sie die Passiererlaubnis für uns drei – so macht man das also. Wieder mal was gelernt. Dank der Absperrung herrschte nun natürlich extrem wenig Verkehr und es war ein Genuss, bei schönstem Sommerwetter durch die trockenen Wälder zu kurven.
Nun wurde es nochmal ein Bisschen spannend, denn in der Nähe gab es noch einen schönen Nationalpark, welchen ich eigentlich gerne noch gesehen hätte. Nur musste ich dazu erst mal bis ganz ins Haupttal runter fahren um dann am nächsten Berg entlang wieder hoch in den Park zu fahren. Aber wenn man die Landkarte drei mal umgedreht und gut geschüttelt hatte, erschien plötzlich ein kleiner Weg, welcher direkt in den Park führte. Zudem führte der Weg gerade wenige Meter hinter dem Kontrollhäuschen in den Park hinein. Die Option schien mir sehr verlockend. Ich musste dann aber rasch feststellen, dass der Weg wohl nicht mehr als Weg gedacht war. Auch hier war alles abgezäunt (die spinnen doch die Chilenen mit ihren Zäunen) und der Weg wurde wohl seit Jahren nicht mehr benutzt, so eingewachsen wie der war. Aber ich hatte wirklich keine Lust auf den grossen Umweg und so hievte ich erst mal alles über den Zaun bevor die Schlacht auf dem «Weg» dann weiter ging. Über eine klapprige «Brücke» erreiche ich schlussendlich den nächsten Zaun, welcher eine schöne Farm absperrte. Der Farmer war sichtlich erstaunt über mein Auftauchen und es nahm ihn schon sehr Wunder, wie zum Kuckuck ich den mit dem Göppel hierher kam. Aber er gewährte mir auch sehr gerne den Durchgang über die Farm und ich erreichte den Park ohne weitere Überraschungen.
Auch im Parque Nacional Conguilio war die Feriensaison in vollem Gange. Ein reges Wirrwarr aus Wandervögel, Camper und anderen Besuchern zog sich durch den ganzen Park. Aber ich verstand auch warum, denn es war wirklich ein wunderschöner Park mit seinen verschiedenfarbigen Lagunen, den riesigen, versteinerten Lavaströmen, den knallblauen Seen, den eindrücklichen Gletschern und Vulkangipfeln. Eigentlich wäre zelten hier definitiv keine schlechte Idee gewesen. Ich entschied mich dann aber doch noch das gute Wetter zu nutzen und bis ins Dorf Melipeuco, welches auch das offizielle Ende des Monkey Puzzle Trails bedeutete, zu fahren und auf einem etwas weniger schönen Campingplatz eine weitere intensive Woche ausklingen zu lassen.
Sollipulli
Wie es von Melipeuco weiter gehen würde, war schon lange klar. Direkt auf der schön asphaltierten Strasse gegen die Stadt Villarica zu, um dann durch die chilenische und später dann auch argentinische Seenregion zu cruzen. Aber, Ihr könnt es bereits erahnen, es kam wieder mal anders. Klar, ich hatte schon gehört, dass es noch so etwas wie einen «anderen Weg» gegen Süden geben soll. Auch Velofahrer hatten diesen schon in Angriff genommen aber ich war mir schon lange sicher, dass ich mir diese Strapazen nicht antun würde. Und doch liess mich der Gedanke daran, jetzt wo ich sozusagen vor Ort war, nicht mehr los. Auch war es irgendwie viel zu einfach, nun auf die Asphaltstrasse zu wechseln. Die würde sicher langweilig sein. Und die Monkey Puzzle Piste hat ja eigentlich Spass gemacht.
Ich erkundigte mich mal vorsichtshalber bei der örtlichen Polizei, wie es denn um diesen Weg stehen würde und wie sie das Befahren mit dem Fahrrad einschätzen würden. Wie erwartet, brachte die Auskunft nicht sehr viel, aber grundsätzlich wurde mir nicht vom Vorhaben abgeraten. Das war schon mal gut. Weniger gut war jedoch, dass gerade erst ein Waldbrand dort oben ausgebrochen war, welcher noch alles andere als unter Kontrolle war. Aber in ein paar Tagen, wenn ich dann dort sein würde, wäre der dann sicher gelöscht. Und sonst müsste ich halt umdrehen. So einfach war das, und der Plan stand also fest: Der Asphalt musste noch etwas warten.
Konkret ging es um einen «Weg», welchen entlang der Argentinischen Grenze um den Vulkan Sollipulli führte. Motivierend war, dass es beim Start des Wanderwegs auf den Vulkan einen kostenfreien Campingplatz des Parks gab. Angeblich sogar mit Dusche 🙂 Leider würde der Weg dort rauf unglaublich steil und in schlechtem Zustand sein. Mit meinem überladenen Gefährt würde ich dazu wohl wieder ewig brauchen.
Nachdem es erst mal ein paar Kilometer flach durchs Tal aus Melipeuco raus ging, stand ich dann gegen Mittag wirklich vor einem ziemlich steilen Anstieg. Es fehlten zwar nur noch 4 Kilometer bis zum Camping, aber es mussten auch noch gut 600 Höhenmeter erklommen werden. Zu faul, alles Gepäck abzuladen und einzeln hoch zu tragen, versuchte ich halt das ganze Gefährt zu schieben – ein paar Zentimeter vorwärts, um dann genau wieder gleich viel zurück zu rutschen. Nach über zwei verschwitzten Stunden war es dann aber geschafft und ich stand vor dem kleinen Camping wo mich ein Ranger freundlich begrüsste. Er erinnerte mich ein Bisschen an Ranger Kari von Chilkoot Trail, damals in Alaska. Auf meine Frage hin, ob es denn noch möglich sei, heute noch auf den Vulkan zu klettern verwirft er sofort die Hände. Viel zu spät! Viel zu gefährlich! Die Gewitter kommen bald! Es braucht miiiiiindestens vier Stunden für die Wanderung! Auf keinen Fall heute! Ja er war wirklich ein zweiter Ranger Kari… So verbrachte ich halt den Nachmittag mit dem Erledigen lange überfälliger Reparaturen. Gewittert hat es bis zum Eindunkeln hingegen nicht. Dafür gabs Sonnenbrand.
Am nächsten Tag war dann auch nicht viel mit wandern. Von früh Morgens war die ganze Gegend in hässlich graue Wolken gewickelt und der einsetzende Regen wurde nur noch stärker. So kann ich jetzt dafür auch sagen, dass ich immerhin einen Tag auf dieser Reise sozusagen vollständig im Zelt verbracht hatte. Nein, stimmt nicht ganz. Zwei andere Camper hatten mich mal noch kurz aus dem Zelt gelockt um eine eher lauwarme, heisse Quelle auszukundschaften, um danach noch mehr zu frieren in dem Sauwetter.
Am 13. Februar, stand ich dann früh in meinen Wandersocken parat um den Vulkan vor dem «grossen Ansturm» zu erklimmen. Der Himmel war nun wieder wolkenlos und ich freute mich auf die Wanderung. Nacht ein paar Stunden, zuerst durch dichte Wälder und dann über die offenen, steilen Lavahänge, stand ich am Kraterrand des Sollipulli Vulkans. Es war ein eindrücklicher Vulkan, denn das Spezielle am Sollipulli ist, dass sich im Krater kein See, sondern ein riesiger, bis zu 650 Meter tiefer Gletscher befindet. Dennoch erhält der Nachbarvulkan Villarica, fast die gesamte Aufmerksamkeit der Feriengäste, denn dort kann man im Krater noch heisse Lava brodeln sehen (aber man kann dafür auch nicht einfach so rauf wandern). Der Sollipulli kennen aber nur wenige. Es war wunderbar auf dem Sollipulli und da ich früh unterwegs war, dauerte es noch über eine Stunde bis die nächsten Wandervögel oben ankamen. Der Abstieg ging rasch, denn auf dem lockeren Vulkangestien konnte man problemlos in riesigen Schritten den Hang «runter rennen».
Meine Campingsachen waren nun trocken und schnell verpackt. Der nette Ranger schenkt mir noch eine Zwiebel und zwei Eier für unterwegs. Ich erkundige mich sicherheitshalber noch, ob die Eier schon gekocht wären. «Si, son duros» (ja, sie sind hart) war seine Antwort. Der Weg war bis hier relativ gut, denn bis zum Camping fahren ja auch alle mit ihren Autos hoch. Danach war aber dann relativ schnell fertig lustig und der Weg wandelte sich in eine Piste aus groben Steinen und bescherte mir eine ruppige «Fahrt». Auch wechselte der Weg nun immer wieder die Bachseite und ich musste diesen sechs mal durchqueren. Die Schuhe hatte ich bereits auf den Gepäckträger geschnallt und war mit den Crocs bestens gewappnet für die Querungen. Nach der letzten Bachquerung kam es mir dann auch mal in den Sinn, zu schauen ob die Schuhe noch da waren (denn ich wollte sie ja wieder anziehen). Einer war noch da. Der zweite nicht mehr. Also ging es nochmals zurück, nochmals 5 mal durch den Bach bis ich nach gut einer Stunde den zweiten Schuh wieder gefunden hatte. Und dann das ganze Spiel nochmals. Vielleicht lerne ich es ja mal noch….
Dann war aber höchste Zeit für eine Pause und ich freute mich auf zwei gekochte Eier. Ich freute mich so lange bis ich die Packtasche öffnete, denn deren Inhalt war durch und durch in eine gelbe, schleimige Schicht eingepinselt. Eier gabs keine, dafür eine weitere Stunde des lustigen Spiels «putzen und trocknen lassen» am Rande eines kleinen Bächleins. Ich weiss nun auch das der Ranger nichts von «duro» gesagt hat, sondern wohl «crudo». Tönt halt recht ähnlich (super-extrem ähnlich finde ich eigentlich) und ich kannte halt das Wort «crudo» noch nicht. Jetzt weiss ich dass es roh bedeutet und das werde ich nie mehr vergessen. Es vergeht kein Tag in Südamerika ohne was nützliches gelernt zu haben. Ob das ganze etwas mit dem Datum zu tun hatte, wage ich nach wie vor zu bezweifeln.
Nach einem weiteren Tag, nun wieder auf deutlich besserem Weg, war der Sollipulli nicht nur erklommen sondern sozusagen auch noch umrundet worden. Und ich landete in Pucon, am Ufer des Lago Villarica, direkt vor dem majestätischen Berg. Nebst der Stadt Villarica ist Pucon der andere grosse Touristenmagnet der Region. Sozusagen das Interlaken von Chile. Es war immer noch Ferienzeit und das Städtchen war voll mit Touristen. Dementsprechend ausgebucht und teuer waren alle Übernachtungsmöglichkeiten. Am Stadtrand fand ich aber einen schäbigen Camping, wo ich mich mit gleichgesinnten Vögel einrichtete und ein paar Tage entspannte und mich in den Trubel von Pucon ziehen liess. Ah ja und hier landeten die Veloschuhe, welche ich noch extra 2 Stunden lang gesucht hatte, endgültig im Abfall, denn der örtliche Schuhmacher weigerte sich, diese überhaupt noch anzuschauen, geschweige denn anzufassen.