Wer hätte gedacht, dass Bolivien dermassen viel zu bieten hat. Und dabei habe ich wieder mal nur einen Bruchteil des Landes gesehen. Aber lest selbst…
Kurz mal nach La Paz:
Der Grenzübertritt nach Bolivien war ein Traum. Keine Warteschlange, keine Fragen, keine Kontrollen, nur das Suchen einer leeren Seite im Pass für den Stempel nahm ein paar Sekunden in Anspruch und schon waren wir in Bolivien. Auf den ersten Blick war das Land Peru ziemlich ähnlich. Etwa gleich viele Schlaglöcher im Asphalt, die Hunde ähnlich aggressiv und die Autos stanken auch etwa ähnlich – wir fühlten uns wohl und radelten gemütlich die paar verbleibenden Kilometer bei herrlichem Sonnenschein ins Städtchen Copacabana.
Copacabana ist ein Touristenmagnet und zieht Gringos, Bolivianer und Peruaner gleichermassen an. Viele kommen hierher um die Sonneninsel und die dortigen Inkastätten zu besuchen. Dementsprechend laut und turbulent geht es im Städtchen zu und her. Von allen Seiten wird man in Restaurants gelockt, zu Bootstouren animiert oder in einer der vielen Tiendas über den Tisch gezogen.
Wir treffen per Zufall auf den mexikanischen Töfffahrer Martin aus Acambaro. Und wie es der Zufall will ist er ein Freund von Jaime, mit welchem ich damals im Februar 2018 mal eine wilde Party gefeiert hatte – wie klein die Welt doch ist…
Wir lassen uns auf dem günstigsten Campingplatz nieder und lassen den Tag bei einem Bier am «Strand» von Copacabana ausklingen. Leider wurde die Nacht nicht sehr erholsam, denn die 6 Hunde des Campingplatzbesitzers, welche den ganzen Tag gepennt hatten, waren nun äusserst aktiv und fanden es unheimlich toll, die ganze Nacht neben meinem Zelt zu bellen. Grund genug am nächsten Tag weiter zu fahren. Etwas unausgeruht verabschiede ich mich von Juan Carlos und stieg gegen Mittag auch endlich aufs Velo. Ich zirkelte durch das Wirrwarr von Menschen, Tieren und Vehikeln aus der Stadt heraus, den ersten Pass hoch und wieder zum tiefblauen Titicacasee hinunter.
Ein kurzes Stück See muss mit einer «Fähre» überquert werden. Also die Fähren sind eher ein paar wild zusammengezimmerte Holzlatten, welche mit dem wohl kleinsten Aussenbordmotor der Welt irgendwie über den Teich befördert werden. Das Business schien zu florieren, denn es herrschte Hochbetrieb aus unzähligen solcher Fähren auf den engen Kanal und es war herrlich, dem Spektakel und den vielen Fast-Zusammenstössen zuzuschauen.
Vom Titicacasee war es nun nicht mehr weit bis nach La Paz, wo ich bereits von Oscar, einem Freund meines Schwagers, erwartet wurde. Aber zuerst musste ich mich durch das Gewühl von El Alto, der Schwesterstadt von La Paz kämpfen. Ai, war das herrlich. Ein solches Chaos aus Collectivotaxis hatte ich nun wirklich noch nie gesehen. Die Strassen waren dermassen verstopft, dass ich zum Teil nicht mal mit dem Velo mehr vorbeikam und auch auf dem Gehsteig war vor lauter Leuten an ein Velofahren auch nicht zu denken. Es war herrlich. Nach einer guten Stunde im Gewirr erreichte ich endlich den Rand von El Alto, von wo es steil runter in den Talkessel nach La Paz ging.
Bei Oscar und Adriana wurde ich freudig mit Mittagessen und Bier empfangen.
Der Plan war, nur 3-4 Tage in La Paz zu bleiben um dann möglichst rasch weiter gegen Süden zu fahren. Es kam wieder einmal anders und ich blieb gut 2 Wochen in La Paz. Gemacht habe ich eigentlich nicht viel, aber Oscar wollte mich nicht wirklich ziehen lassen und hatte jeden Tag wieder einen neuen Grund, wieso ich doch noch einen Tag länger bleiben sollte. So vergingen die Tage in La Paz vor allem mit viel kochen, grillieren, essen, Stadtbummeln und natürlich einer Stadtrundfahrt im Teleferico. Das Netz aus Gondelbahnen verbindet die ganze Stadt und dient nicht nur als äusserst effizientes Fortbewegungsmittel, sondern eignet sich auch sehr gut, um die Stadt aus der Vogelperspektive zu besichtigen.
Von La Paz aus durfte natürlich ein Besuch der gefährlichsten Strasse der Welt der «Death Road» nicht fehlen. Der alte Weg stürzt von den 4000m hohen Bergen hinab in die tropischen Wäder der Yungas und forderte früher doch relativ viele Tote. Heute gibt es eine neuen Strasse auf der anderen Seite und die Todesstrasse wird nur noch touristisch genutzt. Aber das dafür ordentlich. In Scharen stürzen sich die Todesmutigen Gringos, eingepackt in Fullfacehelme und auf Downhill Mountainbikes die Schotterstrasse hinunter. Ich stürzte mich ebenfalls die Strasse hinunter – mit vollgepacktem Reiserad und Sonnenhut. Denn wirklich gefährlich ist die Strasse nun wirklich nicht. Sie ist etwa vergleichbar mit einer x-beliebigen Strasse in den Bergen Kolumbiens.
Der Tag begann etwas verhangen und ich startete die Strecke auf über 4000m im leichten Schneegestöber und einer Sichtweite von wenigen Metern. Aber je weiter ich runter fahre, desto schöner wird das Wetter und ich erreiche das Dorf Yolosa im Tal in kurzer Hose und T-Shirt.
Auf einem Fussballplatz in einem kleinen Dorf finde ich einen guten Ort zum zelten und in der Nacht finde ich mich in einer Disco aus tausenden von Glühwürmchen wieder. Am nächsten morgen finde ich mich hingegen im grössten Sauwetter wieder. Es schifft in strömen und es harzt mit dem zusammenpacken. Irgendwann ist es dann doch geschafft und ich sitze bald in einem der Collectivo-Taxis welches mich über die neue Strasse zurück nach La Paz bringen sollte. Nun folgte der wirklich gefährliche Teil des ganzen Ausflugs. Trotz nasser Fahrbahn und einer Sichtweite von wenigen Metern brettert der Fahrer wie ein bescheuerter die Strasse hinauf. Bei jedem Altar am Strassenrand bekreuzigt er sich aufs neue und vertraut auf Gott dass wir heil in La Paz ankommen. Ich vertraue gar niemandem und hoffe einfach auf ‹no pasa nada‹. Wir überleben die Fahrt tatsächlich unbeschadet, ich kann all meine Sachen bei Oscar auf dem Dach trocknen und wir grillieren ein weiteres mal.
Ab nach Chile:
Irgendwann kann ich mich dann doch endlich mal losreissen, denn die Regenzeit welche den Salar von Uyuni weiter südlich unpassierbar machen würde, rückt immer näher. Und den Salar mit dem Velo zu durchqueren steht schon sehr lange, sehr weit oben auf meiner Liste der wirklich wichtigen Dinge im Leben.
So überflog ich dann La Paz ein weiteres mal mit dem Teleferico, stürzte mich nochmals ins Gewirr von El Elto und verliess die Stadt Richtung Visviri, dem nördlichsten Grenzübergang nach Chile. Denn auf der chilenischen Seite wollte ich der ‹Ruta de la Vicunas› über das Altiplano gegen Süden folgen. Die Strecke war ein Traum. Auf knapp über 4000m ging es relativ flach über das wunderschöne Altiplano der chilenischen Grenze zu. Verkehr und Zivilisation hatte es kaum, nur ein paar wenige Dörflein befanden sich an der Strecke und es war herrlich einsam und ruhig. Nach drei Tagen erreichte ich das letzte Dorf in Bolivien, füllte nochmals meine Vorräte auf und machte mich auf den Weg zur 5 km weiter entfernten Grenze. Der Weg liess nicht wirklich vermuten, dass ich an eine Grenze fahren würde. Der steinige, fast unfahrbare Weg führte aber tatsächlich an die Grenze. Chilenische Grenzbeamte hatte es einige, nur leider fehlte vom bolivianischen Kollegen jede Spur und keiner wusste wo der Typ wäre. Und ohne Ausreisestempel von Bolivien ging erstmals gar nichts. Mir blieb schlussendlich nicht viel anderes übrig, als den mühsamen Weg nochmals unter die Räder zu nehmen und nochmals zurück ins Dorf zu fahren um den Grenzbeamten zu suchen. Auch im Dorf war er leider nicht auffindbar. Erst gegen 9 Uhr Abends tauchte er plötzlich mit seinem Klapperauto auf und wollte die Ausreiseformalitäten direkt auf der Strasse regeln. Ich fand dann aber, dass es nun doch etwas spät wäre und wir einigten uns darauf, dass er dann am nächsten Morgen am Grenzposten anwesend sein würde und wir das Ausreiseprozedere auf dann verschieben würden. Im Dorf fand ich dann im einzigen Hotel für umgerechnet 3 Franken das wohl erbärmlichste Zimmer der ganzen Reise. Aber immerhin hatte ich eine Bleibe für die Nacht und konnte mich etwas erholen, denn ich hatte immer noch den hartnäckigen Husten, welche ich seit Peru mit mir rumschleppte, und das Atmen fiel mir relativ schwer und ich war abends oftmals völlig erschöpft, nicht wegen dem Velofahren, sondern weil ich kaum genügend Luft bekam.
Der Grenzübertritt klappte am nächsten Morgen reibungslos ich fand mich auf einer brandneuen Asfaltstrasse wieder – willkommen in Chile. Die Freude hielt aber nur kurz an, denn schon bald bog ich wieder auf eine Sandpiste ein, welche mich weiter, quer übers einsame Altiplano führte. Es traf sich gerade, dass in dieser Nacht Vollmond war und ich freute mich auf eine Vollmondfahrt durchs Altiplano. Ich stoppte früh, kochte mein Abendessen in den letzten Sonnenstrahlen und packte mich danach warm ein, denn kaum war die Sonne weg wurde es ziemlich schnell ziemlich kalt auf dem Altiplano. So fuhr ich im Licht der Dämmerung weiter übers Altiplano bis endlich der Mond aufging, welcher die ganze Landschaft bis an den Horizont erleuchtete. Es war genial, so Velo zu fahren.
Tags darauf erreichte ich das Dorf Putre wo ich wieder mal einen Ruhetag einlegte, denn das Atmen fiel mir noch immer schwer und ich hatte nicht sonderlich viel Energie. Im örtlichen Gesundheitszenter riet man mir, mal auf Meeresniveau hinab zu fahren und dort den Brustkorb zu röntgen um der Sache mal auf den Grund zu gehen.
So fuhr ich dann nicht wie geplant weiter auf über 4000 m durchs Altiplano, sondern bretterte in einem rasanten Downhill über 140 km von 4000m auf 0m runter, nach Arica am Meer. Die gesamte Strecke führte weitgehend durch sandige Wüstenlandschaft und erst fast zu unterst erblickte ich im Talboden einen grünen Streifen auf welchem wie wild bewässert und intensiv Landwirtschaft betrieben wurde.
Ich erreichte Arica noch gerade früh genug um mal im Spital vorbei zu gehen um einen Termin für das Röntgen am nächsten Tag abzumachen. Es verlief leider nicht wie geplant und ich wurde kurzerhand, wie noch so oft in Lateinamerika, direkt als Notfall behandelt. Also so notfallmässig schnell ging es dann doch nicht, denn ich wartete geschlagene sechs Stunden, bis dann um Mitternacht doch noch so ein Bild geschossen wurde. Wirklich angeschaut hat sich das Bild dann doch niemand so recht und ich wurde gegen 1 Uhr wieder auf die Strasse gesetzt. Immerhin war mein Velo noch immer unberührt im Warteraum auf mich am warten. Nun galt es eine noch offene Imbissbude zu finden und eine Bleibe für die Nacht. Beides war nicht so einfach zu organisieren in Arica um 1 Uhr in der Früh, aber nicht unmöglich.
Am nächsten Tag lag ich dann richtig flach. Die Warterei in nassen Velokleider im Spital hatte mir wohl noch ein paar Viren mehr beschert und ich wahr froh für ein paar Tage bei Chris couchsurfen zu können. Als ich wieder einigermassen auf den Beinen war, sollte es den ganzen Weg wieder zurück auf meine geplante Route auf 4000m hoch gehen. Ich nahm mir dazu einen den unzähligen Lastwagen zu Hilfe, welche zu tausenden zwischen Chile und Bolivien verkehren. Ich wählte den wohl langsamsten Lastwagen der Welt. Die Ladefläche sah ziemlich leer aus und ich war guter Dinge, mit diesem Lastwagen schnell wieder in den Bergen zu sein. Offenbar wogen die drei kleinen Blechrollen welche er geladen hatte aber unmöglich viel und so schleppten wir uns doch eher langsam den Berg hinauf, wurden von allen anderen Lastwagen überholt und erreichten Putre nach knapp 7h Fahrt. Immerhin etwas schneller als wenn ich mit dem Velo gefahren wäre.
Ich schaffte es gerade noch knapp vor Sonnenuntergang mein Zelt an der Laguna Cotacotani an einen wunderschönen Platz aufzustellen, freute mich über etwas weniger Husten und schaute zu wie der Vulkan Parinacota langsam aus dem Sonnenlicht verschwand. Dann ging das gewohnte Altiplano-Spiel wieder los: es wurde sofort eisig kalt, ich verkroch mich in den Schlafsack und der Tag war vorbei.
besser gehts nicht Laguna Cotacotani mit Vulkan Parinacota
Dann ging es endlich los mit der Ruta de las Vicunas. Für gut 200 km würde ich entlang der Grenze gegen Süden radeln, mitten übers Altiplano, vorbei an Salzseen, heissen Quellen und begleitet von einer Vielzahl von Vicunas.
Der erste Tag war genial. Nachdem der erste, etwas sehr sandige Pass bezwungen war, erwarteten mich direkt neben der Piste die ersten heissen Quellen und ein kurzes Nachmittagsplantschen stand auf dem Programm. Ich radelte noch eine Weile weiter durch die Altiplanolandschaft bis das Schnell-in-den-Schlafsack-springen Spiel wieder los ging, denn es wurde wieder gut -15°C kalt in der Nacht.
An nächsten Morgen musste ich mich wirklich überwinden, schon vor Sonnenaufgang aus den Zelt zu kriechen. Dies war aber nötig, denn ich wollte unbedingt die nächsten Thermalquellen zum zelten erreichen. Und diese waren halt immer noch 70 km weit weg, was auf der sandigen Piste doch eine ordentliche Strecke bedeutete. Es war so kalt, dass ich es nicht mal schaffte in die Velokleider zu wechseln. Auch zum Schuhe anziehen war es zu kalt. So fuhr ich einfach mit allen übereinander angezogenen Schichten in den Crocs los (ja, Crocs und Alpaka Wollsocken sind der Kalte-Tage Hit schlechthin). Durch den eiskalten Lenker, Pedale und den Fahrtwind bin ich im nuh ausgekühlt und mir wird fast schlecht vor Kälte. Irgendwann muss ich Pause machen um nicht komplett umzukippen. Endlich schafft es die Sonne über den Horizont und wärmt mich ein Bisschen. Und wenige Minuten später schwitze ich wie der Schwede in der Sauna und komme kaum nach, mit Kleiderschichten auszuziehen – so schnell geht das auf dem Altiplano, denn die Sonne ist unglaublich stark. Ich fahre auch trotz der Wärme von Kopf bis Fuss eingepackt Velo, denn eine unbedeckte Haut ist auch mit Sonnencreme im nu ‹Pollo Broster›.
Das Altiplano fasziniert mich auch heute noch und die Wüstenlandschaft ändert sich jedes mal aufs neue schlagartig, sobald irgendwo ein kleines Rinnsal ein bisschen Wasser in die trockene Landschaft bringt und die Pflanzen und Tiere wie ein Magnet anzieht.
Am Nachmittag geht es dann entlang des Salar de Surire, mit tausenden von Flamingos im Salzsee und jeder Menge Vicunas rund herum, weiter. Trotz der schönen Landschaft bin ich noch immer fast ganz alleine unterwegs, nur selten begegne ich einem Auto, eher noch anderen Velofahrern.
Es fehlen nun nur noch knapp 10 km bis zu meinem Tagesziel, den heissen Quellen. Leider werden aus den 10 km plötzlich deren 20 und aus einer Stunde werden 2.5. So schnell kann es gehen, wenn man mit dem Rückenwind verträumt an der einzigen Süsswasserquelle vorbeiradelt. Und die letzten Kilometer waren nochmals so richtig schön sandig. Also so voll mit absteigen und schieben und solchen Spässen.
Aber Wow, ich konnte es kaum fassen als ich die heissen Quellen sah. Ein riesiger Teich aus 50-60 °C heissem Wasser, mitten im Nirgendwo, nur für mich – genial.
Ich will sofort hineinspringen, aber das ist gar nicht so einfach, denn vielerorts ist das Wasser viel zu heiss. Endlich finde ich eine gute Stelle und blubbere wie Nemo bis zum Sonnenuntergang gemütlich im Wasser.
Das Zelt stelle ich aus praktischen Gründen nur zwei Meter vom Pool entfernt auf. Es riecht zwar die ganze Nacht dann etwas nach Schwefel, aber der warme Boden hält mich auch bei -17°C in der Nacht wohlig warm. Und all zu weit will ich ja für den Mitternachtsschwum nun auch wieder nicht laufen müssen und auch für das Sonnenaufgangsblubbern ist es praktisch, nicht lange durch die Kälte stapfen zu müssen.
guten Morgen allerseits Salar Surire Am Ziel Vicunas grasen um die heissen Quellen
Den Traumplatz verlasse ich erst gegen Mittag. Ich habe zwei Optionen: ein langer Weg über einen hohen Pass oder einen kurzen über einen nicht so hohen Pass. Der Hacken an der Sache: der kurze Weg führt kurz mal über einen Schmugglerpfad, illegal zurück nach Bolivien. Da das Teilstück durch Bolivien bergab ist und ich wohl schnell durch sein würde, ist der Fall klar.
Bald stehe ich an der ‹Grenze› auf dem Pass, stelle sicher dass mich keine Grenzpolizisten verfolgen und fahre los. Die Fahrt ist kurz. Dann habe ich erstmals Platt. Aber so richtig platt. Das Loch im Schlauch ist fast einen cm gross. Leicht nervös beginne ich mein Flickzeugs aus der Taschen zu fummeln und beginne zu Vulkanisieren und pumpen wie ein wilder. So schnell hatte ich seit Mexiko definitiv keinen Platten mehr geflickt. Als ich endlich weiterfahre, sehe ich in der Entfernung eine grosse Staubwolke. Wenig später kann ich den schwarzen SUV mit getönten Scheiben erkennen. 50m vor mir hält er an. Ich fahre mal langsam weiter bis ich am Fahrzeug bin. Fahre langsam vorbei und rechne schon damit von der Grenzpolizei verhaftet zu werden. Zu meiner Erleichterung ist das Auto nicht mit Polizisten beladen sondern mit Gummiboot und Campingstühlen – uff, Glück gehabt. Jetzt aber schnell wieder nach Chile. Unterwegs halten mich noch zwei Fahrzeuge an und erkundigen sich ob die Luft rein sei auf dem Weg – offenbar eine beliebte, wenn auch nicht ganz sichere Abkürzung. Ich habe nochmals Platt, diesmal aber voll entspannt, denn die Landschaft lädt sowieso gerade wieder mal zu einer Pause ein.
Mit dem sehr seltenen Phänomen von Rückenwind rase ich nahezu über die Fläche und packe gerade mal 2 in 1 Tag hinein und erreiche die, nun offizielle, Grenze zu Bolivien noch am späten Nachmittag. Der Grenzübertritt ist wie gewohnt easy und ich beende den Tag in einem Gotteshaus im Grenzort mit einer Gruppe Kolumbianer, welche (mit etwas mehr Schwierigkeiten) unterwegs nach Chile sind.
Über die Salzseen:
Nun folgte ein Abschnitt, auf welchen ich mich schon seit langem riesig gefreut hatte und auch immer ein Bisschen Bedenken, dass ich die Region nicht mehr rechtzeitig vor der Gewitter- und Regenzeit erreichen würde. Dann wären die Salzseen von Coipasa und Uyuni nämlich geflutet und mit dem Velo nicht passierbar gewesen. Aber ich war rechtzeitig da und die Salare waren noch ziemlich trocken.
Im schmuddligen Grenzort Pisiga galt es nochmals Vorräte (mit Ausnahme von Salz) aufzufüllen, denn für die nächsten 5 Tage würde ich nicht viel mehr als Salz zu sehen bekommen. Und da die Salare Tätschflach sind, spielte das Gewicht auch nicht so eine grosse Rolle und ich gönnte mir 1.5kg Rüebli und eine Zwiebel für jeden Tag – der Gourmet reist mit auf dem Salar.
Die ersten Meter auf dem Salar de Coipasa machten unglaublich viel Spass. Man konnte mit geschlossenen Augen fahren – nicht für ein paar Sekunden sondern so lange ich wollte, denn es gab nix, aber nun wirklich nix wo ich hineinfahren hätte können. Oder spassige Perspektivenfotos machen. Oder mit Distanzschätzungen völlig daneben liegen. Oder ungesalzene Nüssli in stark gesalzene verzaubern. Es war ein witziger Spielplatz, von welchem ich mich nach 2 Halbtagen bereits wieder verabschiedete. Nach einer kurzen Landpassage über ein Pässli erreichte ich den, mit über 10’000 km2, grössten Salzsee der Welt – den Salar de Uyuni. Ich erreichte den Rand des Salars kurz vor Feierabend, wollte aber auf einer kleinen Insel zelten, welche ich in einer Distanz von ca 1 km schätzte. 30 min später war die Insel noch immer etwa gleich weit entfernt…. Soviel zum Thema Distanzen schätzen auf dem Salar. Aber ich habe den tollen Zeltplatz dann doch noch erreicht.
es macht spass! Salzstrassen
Den nächsten Tag war geprägt von einer relativ eintönigen, aber doch sehr spannenden Landschaft. Es war einfach alles flach und weiss. über den Salar führen einige «Routen» wo die Fahrzeuge meist durchfahren. Auf diesen «Strassen» ist das Salz fast so glatt wie Asfalt und ein vorankommen mit dem Velo ist viel viel einfacher als auf dem sonst doch eher hügeligen und groben Salz. Das schwierige ist einfach, diese Routen erstmals zu finden, denn in der Fläche erkennt man die Spuren eigentlich erst wenn man bereits darauf steht. Und so fahre ich einfach mal los in die in etwa richtige Richtung, bis ich irgendwann dann auf eine solche Piste stosse.
Das Ziel heute ist die Insel Inkahuasi. Diese Insel wird von den Jeeptouren angesteuert und bietet inmitten von Salz und purer Natur plötzlich wieder Toiletten, kaltes Bier und man muss ein Eintrittsticket kaufen. Es erschlägt mich fast als ich der Insel näher komme, denn es steht nicht etwa ein Jeep da, sondern etwa deren 20 und wieder einmal rennen alle wie die vom Fuchs gejagten Hühner mit ihren Selfistickst rum und knipsen die einzigartigen Instagramfotos. Die Insel hat aber für die Velofahrer durchaus einen Reiz (nebst einem kalten Bier), denn der Häuptling der Insel lässt die armen Velofahrer im kleinen Museum übernachten. So erstaunt es nur wenig dass ich genau hier wieder auf altbekannte Gesichter treffe. Diesmal sind es Christian und Helois aus Frankreich, welchen ich bereits Monate zuvor schon in den Inkaruinen von Kuelap im Norden von Peru über den Weg gelaufen bin.
Den letzten Tag bestreiten wir gemeinsam, machen nochmals jede Menge lustige Perspektivenfotos, nehmen eine Abkürzung, landen im Wasser, im tiefen Sand und erreichen aber schlussendlich, erschöpft aber happy, die berühmte Casa Ciclista ‹Pingui› von Uyuni.
beim Salzhotel
Foto: Héloïse NaegelenPause mit Christian
Foto: Héloïse NaegelenFoto: Héloïse Naegelen Foto: Héloïse Naegelen Foto: Héloïse Naegelen immer wieder Minitornados auf dem Landstück zwischen den Salaren meine private Insel für die Nacht gute Nacht Isla Pescador ich finds toll 🙂 Jeepinvasion Isla Inkahuasi Isla Inkahuasi irgendwo auf dem Salar de Uyuni
In der Casa herrscht Hochbetrieb und mit uns ist die Casa nun wirklich Randvoll und jeder Schlafplatz ist besetzt. Nebst vielen neuen Gesichter treffe ich hier auch wieder auf altbekannte, wie z.B. Juan Carlos.
Die Casa gehört zu einem ‹Komplex› aus Restaurant, Laden und Bäckerei. Und so beginnen ein paar lustige Tage mit tagsüber nix tun, Veloputzen oder Routentipps austauschen und Abends Pizza backen und Piscospass. Natürlich durfte auch ein Besuch auf dem Eisenbahnfriedhof nicht fehlen.
in der Casa Ciclista Eisenbahnfriedhof Eisenbahnfriedhof Casa Ciclista Pingui Eisenbahnfriedhof
Nochmals kurz nach La Paz:
In Uyuni wollte ich eigentlich ein paar Tage länger Pause machen und eventuell die Städte Sucre und Potosi besuchen. Da ich aber immer noch Mühe mit dem Atmen hatte, auch auf dem flachen Salar, entschied ich mich nochmals nach La Paz zu fahren da es dort einfacher sein würde, einen guten Doktor zu finden und mir meine Freunde dort auch helfen konnten um der Sache nun endlich mal auf den Grund zu gehen. Und es würde sicher wieder sehr lustig werden mit Adriana, Jacque und Don Oscar. Auch hat die Strecke der letzten Wochen mein Material ordentlich beansprucht und überall gab es kleinere und grössere Reparaturen zu tätigen. So nahm ich mein ganzes Hab und Gut mit in den Nachtbus nach La Paz. Geschlafen habe ich bedenklich wenig, denn das «Bett» ist und bleibt halt auch im Nachtbus ein Sitz und die halbstündlich zu überfahrenden Speedbumps weckten mich in regelmässigen Abständen wieder auf. Noch bis kurz vor der Abfahrt war nicht klar, ob wir überhaupt fahren würden, denn offenbar gab es eine kleine Strassenblockade unterwegs. Wir kamen aber ohne Verzögerung um 4 Uhr morgens im stockdunklen La Paz an und nach einem Nickerchen im Busterminal suchte ich mir den Weg durch die Stadt.
Seit den Präsidentschaftswahlen ein paar Wochen zuvor herrschte ein bisschen Chaos in der Stadt. Dem Evo wurde von seinen Gegnern vorgeworfen, die Wahlen Verfälscht zu haben und so demonstrierten diese nun in der ganzen Stadt mit Strassenblockaden und Umzügen. So war es teilweise etwas umständlicher sich mit dem öffentlichen Verkehr fortzubewegen, denn durch die Blockaden war der Verkehr zum Teil lahmgelegt. Aber auf den Teleferico war immer verlass. So vergingen die ersten Tage in La Paz mit Reparieren, Arztbesuchen, relaxen und Blog schreiben.
Die Lungenärztin kam dann zum Schluss dass wahrscheinlich die Staubbelastung in Peru, in Kombination mit dem trockenen Klima zu einer starken allergischen Reaktion geführt hatte, welche für fast 3 Monate anhielt und für einige nicht sonderlich angenehme Momente gesorgt hatte. Ich war nun aber ausgerüstet mit den richtigen Inhaliersprays und guter Dinge die Sache bald los zu sein.
Irgendwann ist der Evo dann zurückgetreten und nach Mexiko geflohen. Jetzt waren seine Gegner glücklich, seine Unterstützer dafür Stinksauer. Nun gingen diese auf die Strassen und protestierten.
Und diese Gesellen waren dann nicht mehr so friedlich. Von den umliegenden Dörfern wurden die hauptsächlich indigene Landbevölkerung Lastwagenweise angekarrt um zu demonstrieren. Überall in der Stadt wurden nun weitere Strassensperren errichtet und auch alle Zufahrtsstrassen nach La Paz waren gesperrt. Der Verkehr kam komplett zum erliegen.
Durch das Machtvakum wusste auch die Polizei nicht recht was tun und so tat sie einfach mal nichts. So kam es wie es kommen musste und am Wochenende herrschte vor allem in den Nächten das pure Chaos. Der aufgebrachte Mob zog durch die Strassen von La Paz, zündeten Busse und Infrastruktur an und plünderten Häuser. Besonders stark betroffen war die Südzone der Stadt, da dort besonders viele Evo-Gegner wohnten. Leider logierte ich diesmal auch ich in der Südzone. Leider wohnte ich auch im wohl lottrigsten Haus weit und breit und plündern hätte man uns sehr einfach können. So harrten wir im dunkeln, mit verbarrikadierten Fenstern aus, schnupperten den Geruch von abgebranntem Gummi und lauschten dem Geknalle von Dynamit und Knallkörpern und hofften die Nacht unbeschadet zu überstehen.
Zwar mit wenig Schlaf, aber ohne Schaden überstanden wir die Nacht.
Nun begannen sich die Nachbarn in den Quartieren zu organisieren und schützen und so wurden nur auch die einzelnen Quartierstrassen abgeriegelt und verbarrikadiert und nach Sonnenuntergang war nix mehr mit sich draussen bewegen.
Die folgenden Tage verstrichen im selben Schema. Tagsüber wurde alles zu Fuss erledigt, denn auch der Teleferico stellte nun den Betrieb komplett ein, und Abends wurde zuhause verbarrikadiert ausgeharrt und der nächste Morgen herbeigesehnt. Währenddessen wurden immer mehr Leute in Lastwagen in die Stadt gekarrt und die Proteste wurden zunehmend grösser und gewalttätiger.
Als dann endlich eine Übergangsregierung stand beruhigte sich die Sache etwas, denn nun arbeitete die Polizei auch wieder und auch das Militär wurde eingeschaltet, der öffentliche Verkehr funktionierte teilweise wieder und auch die meisten Geschäfte waren wieder geöffnet. Aber ob sich die Situation in den kommenden Tagen weiter entspannen würde, da gingen die Meinungen weit auseinander. Auch kamen immer noch neue Protestierende in die Stadt und ein baldiges Ende der Krise war nicht abzusehen. Aus der Stadt raus gab es immer noch keinen Verkehr und die einzige Fluchtmöglichkeit war mit dem Fahrrad. Aber das Risiko abzuschätzen war mir nahezu unmöglich. Aber ich wollte es versuchen, denn noch länger in La Paz zu bleiben brachte auch das Risiko mit sich, dass sich die Lage nur noch verschlimmert und in Entkommen unmöglich werden würde.
Proteste in La Paz
Foto: Adriana Andrademein neuer Seidenschlafsack entsteht 🙂 abgeriegeltes Quartier La Paz La Paz das Militär ist auch bereit
So startete ich Donnerstag Morgen den Versuch und pedalierte die anstrengenden Höhenmeter hoch in die Schwesterstadt El Alto, denn der Teleferico funktionierte nun wieder nicht mehr. Oben angekommen befand ich mich in einer Art Geisterstadt. Jede noch so kleine Gasse war mit Reifen, Erdhaufen, Seilen, Blechen und Stacheldraht verbarrikadiert und versperrt. Die Strassen waren weitgehend menschenleer. Sogar auch die Strassenhunde schienen sich verzogen zu haben. Ein Vorwärtskommen in den verbarrikadierten Strassen war nur sehr langsam und erschwerlich möglich. Immer wieder musste ich Umwege fahren da viele der Versperrungen auch mit dem Velo nicht passierbar waren. So kämpfte ich mich langsam der Hauptstrasse entgegen welche mich hoffentlich dann aus der Stadt führen sollte. Ein Mann hielt mich an und erkundigte sich nach meinem Vorhaben. Nachdem ich erklärt hatte, riet er mir dringend umzudrehen, denn auf der Hauptstrasse wäre eine Herrschar wütender Indigenas unterwegs. Ein Durchkommen sei unmöglich und höchstwahrscheinlich würde ich auch ausgeraubt und verschlagen werden. Ich liess mich nicht einschüchtern und machte weiter. Erst als mir weitere Personen unterwegs ebenfalls zum sofortigen umdrehen rieten, begann ich am Vorhaben zu zweifeln und als ich dann auf der ersten grösseren Strasse auf eine erste Gruppe von Protestierenden traf wurde es mir zu heikel und ich drehte um und kämpfte mich auf dem selben mühsamen Weg wieder zurück nach La Paz. Nun aber im Regen – die Stimmung war perfekt.
Zurück in La Paz schien es nun so, als wäre ein Abwarten und dann allenfalls Ausfliegen die einzige vernünftige Option um aus dem Schlamassel abhauen zu können.
Vivianne, eine kolumbianische Velofahrerin wollte es aber am nächsten Tag in aller Früh mit dem Velo probieren. Und so standen wir nach einer kurzen Nacht um 6 Uhr auf der Avenida Principal in El Alto bereit um einen weiteren Fluchtversuch zu starten.
Diesmal fuhren wir direkt alles auf der Hauptverkehrsachse aus der Stadt raus. Auch hier war alles mit Erdhaufen, Drähten, brennenden Reifen und Betonklötzen versperrt und hunderte Bolivianer waren zu Fuss oder auf dem Velo in den Trümmern unterwegs.
Wir schlängelten uns langsam durch das Wirrwarr aus Trümmern, Reifen und Menschen und kamen rasch zur ersten bewachten Blockade wo uns die Durchfahrt verwehrt wurde. No hay paso! Wir versuchten den Leuten zu erklären das wir doch nur Touristen wären und nach Argentinien wollten. Das Argument, dass unsere Visa ablaufen würden und wir schnell aus dem Land müssten um nicht verhaftet zu werden, zeigte Wirkung und man lies uns passieren. Es dauerte aber nicht lange und wir standen an der nächsten Blockade an und das Spiel begann von vorne.
Je weiter wir aus El Alto herausfuhren, desto mehr Menschen begannen sich zu gruppieren um dann nach La Paz zu marschieren. Nun kamen auch die ersten Lastwagen an (die durften natürlich die Blockaden passieren), welche neue Demonstranten herbrachten. Nach einigen weiteren Blockaden waren wir endlich aus der Stadt draussen und nahmen erleichtert eine komplett verkehrsfreie Hauptstrasse nach Oruro unter die Räder. Die Erleichterung hielt aber nur kurz an, denn schon im nächsten Dorf wartete die nächste Blockade und aufgebrachte Bewohner auf uns. Auch bei den Blockaden dauerte es meist ein paar Minuten bis wir die Leute beruhigt hatten und unsere Situation erklärt hatten. Die meisten liessen uns dann mehr oder weniger Freiwillig passieren. Je weiter wir uns von La Paz entfernten, desto aggressiver wurden die Leute an den Sperren und umso schwieriger war es, Passiererlaubnis zu erhalten. So ging das Spiel den ganzen Morgen weiter und trotz vielen «Pausen» kamen wir sehr gut voran und erreichten nach einer kurzen Mittagspause den grössten Ort an der Strecke, Patacamaya. Hier warteten mehrere hundert Indigenas auf uns und kaum kommen wir der Blockade näher waren wir von hunderten Leuten umzingelt. Alle packten irgend etwas am Rad oder Gepäck und wir waren ihnen komplett ausgeliefert. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis sich die angespannte Stimmung endlich zu lockern begann uns wir mit scherzen, gut zureden und allerhand anderen Strategien versuchten durchfahren zu können. Sie blieben lange hartnäckig, bis dann endlich einer von ihnen auf die Idee kam, dass wir ja nur Touristen wären und man uns ja eigentlich durchlassen könnte. Immer mehr Dorfbewohner schlossen sich seiner Meinung an und plötzlich kippte die Stimmung komplett. Jetzt wurde gescherzt, wir wurden im schönen Bolivien willkommen geheissen, es wurden Erinnerungsfotos geschossen und jeder wollte sich persönlich von uns verabschieden – uns wars recht so und wir machten uns rasch aus dem Staub.
Wir erreichen das Dorf Sica Sica gegen 5 Uhr und beschliessen noch bis ins nächste Dorf zu weiter zu fahren. Wir bereuen dies sofort, denn die Blockade auf welche wir dort trafen war die ungemütlichste überhaupt. Ein Durchkommen scheint unmöglich denn hier beharren die Indigenas darauf dass im Moment keine Fortbewegung gestattet sei. Und das Vivianna aus Kolumbien kam machte die Sache nicht besser. Denn die Leute hassten Kolumbianer, da diese für den ganzen Schlamassel verantwortlich seien – ja toll. Die Situation sah ausweglos aus, ich hatte die Schnauze voll von dem Theater und wollte umdrehen und die Barrikade auf Nebenstrassen umfahren. Aber Vivianna blieb hartnäckig und erst als der Fokus der aufgebrachten Meute auf einen Töfffahrer fiel, der auch durch wollte, gestatteten sie uns schlussendlich die Durchfahrt. Im Dorf selbst war die Stimmung nicht besser und wir waren definitiv nicht willkommen, wollen aber dennoch hier übernachten denn beim Eindunkeln wollten wir definitiv nicht mehr unterwegs sein und nach 120 km und 7 Stunden im Sattel waren wir hundemüde.
Wir fanden schlussendlich einen sicheren Ort zum übernachten in einem Schulzimmer. Die Lehrer waren wahrscheinlich die einzigen Vernünftigen Personen im ganzen Dorf, die sich so gut es geht aus den Protesten raus hielten. Zeitweise durften wir das Schulzimmer nicht verlassen, wenn protestierende Leute in der Nähe waren, denn hätten diese erfahren dass wir im Dorf übernachteten, wäre es wohl nicht mehr so gemütlich gewesen.
Die Nacht dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Immer wieder wurden wir geweckt durch laute Stimmen um die Schule rum, Geschrei von der Strasse her, dem Geknalle von Knallkörpern und dem Lärm und Gehupe der vorbeifahrenden Transportlastwagen. Der Geruch von brennendem Gummi habe ich bis heute noch in der Nase.
Nicht wirklich ausgeruht sassen wir um 6 Uhr wieder im Sattel und machten uns erneut au den Weg Richtung Oruro. Der Lehrer der Schule machte noch ein Erklärungsvideo, mit welchem wir hoffentlich einfacher durch die Blockaden kommen sollten und begleitete uns durchs Dorf, damit wir nicht schon von Anfang an Probleme hätten. Hier trafen wir wieder auf die Gesichter des Vorabends an der Sperre, welche uns partout nicht passieren lassen wollten. Heute herrscht aber eine ganz andere Stimmung. Nun kannten sie uns ja und nun konnten wir alle so tun als wären wir beste Freunde. Es wurde wiedermal gescherzt, gelacht, Selfies geschossen und wir wurden fröhlich verabschiedet – manchmal verstehe ich die Leute wirklich einfach nicht so recht…..
Wir starteten mit der Information, dass nun angeblich keine Blockaden mehr kommen sollten und so fuhren wir guten Mutes durch Stein- und Trümmerfelder, Scherbenhaufen und durch Gummi- und Drahtreste. Sogar eine ganze Fussgängerpasserelle lag zerstört und als Sperre umgenutzt auf der Fahrbahn.
Es dauerte nicht lange und wir passierten die erste Blockade und es folgten noch einige weitere – weit gefehlt von «es hat keine Blockaden mehr».
Wir nähern uns langsam dem Dorf Konani. Andere Velofahrer warnten uns, dass sie an diese Blockade mit Steinen beworfen wurden. Als wir ins Dorf kommen, warnen uns Fussgänger, welche die Blockade gerade passiert hatten, dass wir sehr vorsichtig sein sollten hier. Ich habe keine Lust auf Theater und will die Blockade auf Pfaden über die Felder umfahren. Viviana will wieder mal lieber mit den Leuten reden. Ich setze mich durch und so schleichen wir uns auf Pfaden über die umliegenden Felder um das Dorf und die Blockade rum und kamen unbeschadet einen guten Kilometer nach der Blockade wieder auf die Strasse und konnten weiterfahren.
Wenig später erreichen wir die letzte Strassensperre, passieren diese ohne Probleme und finden uns in einer anderen Welt wieder. Kaum hatten wir die Blockade passiert herrschte wieder reger Verkehr auf der Strasse, in den Dörfern hörte man Musik und die Strassenstände waren geöffnet und mit allen möglichen Lebensmitteln gefüllt – von Unruhe und Tumult keine Spur mehr.
Wir luden unsere Velos in ein Collectivotaxi, welches uns direkt nach Oruro brachte. Von dort aus fuhr Vivianna in Richtung Salar de Uyuni und ich suche mir den erstbesten Bus, welche mich direkt nach Uyuni brachte und 5 Stunden später lag ich, mit dem köstlichsten Bier der Welt in der Hand, in de Hängematte der Casa de Ciclista und bin froh endlich wieder zurück zu sein und meine Radreise wie geplant und hoffentlich ohne weitere Proteste fortsetzen zu können.
Karte der Strassensperren Chaos in El Alto früh Morgens ist noch wenig los Velofahren macht müde freie Fahrt Reklame für Evo ist fast überall anzutreffen alles blockiert Erleichterte Ankunft in Oruro
Sur Lipez:
Der erste Tag in Uyuni war sehr ruhig, denn ich war der einzige Gast in der Casa – was für ein Unterschied zu letztem Mal. So konnte ich mich in aller Ruhe den längst überfälligen Reparaturarbeiten am Velo und den Sagoschen widmen. Gegen Abend trudelten dann die ersten anderen Velofahrer ein und während ein paar Tagen waren wir eine kleine, fröhliche Gruppe aus Deutschen, Schweizer, Kolumbianer und natürlich Franzosen. Die Stimmung war diesmal noch viel besser als bei meinem ersten Besuch und mit viel wenig tun verstrichen die Tage. Ein weiterer Besuch beim berühmten Eisenbahnfriedhof durfte aber keinesfalls fehlen.
in der Casa Ciclista
Foto: Stefan Harderin der Casa Ciclista
Foto: Stefan Hardernochmals auf dem Eisenbahnfriedhof Eisenbahnfriedhof Eisenbahnfriedhof Eisenbahnfriedhof Mercado von Uyuni Eisenbahnfriedhof Bankomat besetzt Vorbereiten der Snacks für die Weiterreise
Ich blieb eine ganze Woche in Uyuni, denn ich wartete noch auf Tom und Luba, welche noch auf dem Salar unterwegs waren. Zusammen wollten wir die abenteuerliche Lagunenrute nach Chile in Angriff nehmen.
Von der Lagunenrute durch die Provinz Sur Lipez hatte ich schon vor beginn der Reise gelesen und nach den Erläuterungen im ‹Bikebuch Südamerika› von 2007, war für mich eigentlich schon klar, dass ich dieses Abenteuer wohl auslassen werde, denn im Buch wurde eindringlichst darauf hingewiesen, dass das Risiko die Strecke nicht zu überleben relativ gross sei. Alles sehr einsam, unwegsam, sandig und ohne Kommunikationsmöglichkeit untwerwegs wurde die Strecke beschrieben. Aber halt auch dass sie unglaublich schön sein soll. Seit 2007 hat sich in der Region aber einiges getan, und die Strecke wird heute von unzähligen 4×4 Jeep ‹Abenteuer› Touren abgefahren. Auch unter den Velofahrern haben sich die knapp 400 sehr sandigen Kilometer schon fast zu einer ‹must do› Strecke etabliert.
Und so hat sich meine Meinung geändert und ich wollte nun zusammen mit Tom und Luba das Abenteuer wagen – was kann schon schief gehen wenn man mit zwei Ärzten mit jeder Menge Veloabenteuererfahrung dort unterwegs ist.
Die beiden Kolumbianerinnen Jennifer und Vivianne verkündeten dann eines Abends, dass auch sie die Strecke fahren werden. Was wir damals noch nicht wussten war, dass ‹wir werden auch die Strecke fahren› so viel heisst wie ‹wir haben eigentlich keine Ahnung um was es geht und auf was wir uns einlassen, aber wir hängen uns einfach an euch dran›. Auch wussten wir nicht, dass die Mädels eigentlich noch nie nicht-asfaltierte Strecken gefahren sind. Und schon gar nicht das Velo während Tagen durch tiefen Sand geschoben haben. Es wurde spannend.
Als die zwei (also Tom und Luba) endlich da waren, verbrachten wir gute zwei Stunden im örtlichen Mercado mit Einkaufen, denn wir mussten bereits von Uyuni das Essen für die gesamte Strecke von 9-10 Fahrtagen mitbringen. Auf Einkaufsmöglichkeiten unterwegs konnten wir uns nicht verlassen. Ich glaub mein Velo war noch nie so schwer.
Die ersten zwei Tage waren noch easy. Auf einer relativ guten Schotterstrasse ging es gegen die Grenze zu Chile zu. Nur die unzähligen, rasenden Staublastwagen nervten wie gewohnt. Ab Villa Alota gings dann los. Die Sandpiste war in relativ gutem Zustand und wir erreichten kurz vor dem Eindunkeln ein Hotel an der Lagune Hedionda mit unzähligen Flamingos. Ein Zimmer im Hotel kostet weit über 100$ die Nacht. Aber für die Velofahrer gab es einen Raum wo man für umgerechnet 5$ ein Bett bekommt – Velofahren ist halt einfach cool! (Und soviel zum Thema ‹die Route ist super hart›.)
Tags darauf wurde die Piste eine Spur sandiger und ruppiger und wir kamen nur schleppend vorwärts. Zudem zerrte der kräftig und konstant anwesende Gegenwind zusätzlich an der Motivation. Auch mussten wir all paar hundert Meter, wenn eine der unzähligen Jeeepspuren zu sandig wurde, wieder mühsam eine neue, fahrbare Spur suchen – oft waren aber alle viel zu sandig. Wir erreichten das Hotel del Desierto am späten Nachmittag. Den kurzen Abstecher dort hin mussten wir zwangsweise machen, denn es war die einzige Möglichkeit wieder Wasser aufzufüllen. Der Plan war eigentlich noch gute 10 km weiter zu fahren, aber kaum waren wir am Hotel angekommen, brach die Motivation meiner Mitstreiter komplett zusammen und keiner wollte noch weiter fahren und wir zelteten direkt beim Hotel. Mir passte das ganze nicht so ganz, denn ich befürchtete, dass uns die 10 km in den nächsten Tagen irgendwann fehlen würden.
wir verlassen Uyuni Nachtlager unterwegs
Foto: Ľuba LapšanskáFoto: Ľuba Lapšanská Laguna Hedionda Laguna Hedionda Zorro «Strasse» schlecht, Stimmung gut 🙂
Die weitere Strecke wurde dann wirklich sandig und ich fühlte mich mit meinem Velöli definitiv fehl am Platz in Mitten dieser sandigen Wüste. Aber was will man machen, und so schob ich mein Rad wieder ein paar Meter weiter durch den tiefen Sand, bevor die nächste Verschnaufpause anstand, denn das ganze Spektakel spielte sich konsequent auf über 4000 müM ab.
Wir passierten den berühmten ‹Arbol de Piedra‹ und kämpften uns langsam aber sicher der Laguna Colorada entgegen. Die Kolumbianerinnen hatten wir seit der Abfahrt nicht mehr gesehen. Wir erreichen die Lagune gerade noch vor Sonnenuntergang. Eigentlich müsste man hier auch noch den Eintritt in den sogenannten ‹Naturpark› bezahlen. Da aber die Herren Guardaparque lieber drinnen Karten spielten und niemand an der Schranke stand, gings erstmals direkt ohne Eintritt in den ‹Park› rein.
Wir erreichten eine kleine Siedlung aus ein paar lottrigen Häusern und treffen auf den Markus aus Luzern – ein lustiger Kerli. Nun waren wir fortan zu sechst unterwegs.
Und es fehlten uns nun genau die 10 km, denn sonst hätten wir es noch zu einem schönen Aussichtspunkt an der Lagune zum zelten geschafft. Dafür schiefen wir schon wieder in einem Bett in einem der sogenannten Hostels. Den Aussichtspunkt erreichen wir am nächsten Morgen dann und wir schauen dem Spektakel der sich nonstop verändernden Farben der Lagune viel länger zu als geplant. Je nach Sonnenstand und Blickwinkel ändert sich die Farbe ständig von braun zu rot, zu blau, zu grün und wieder zurück. Ein wunderbares Schauspiel, hervorgebracht durch das Absinken und Auftauchen der Algen in Kombination mit Sonnenlicht und Wind.
Am späten Morgen gings endlich weiter und wir passieren ein kleines «Dorf», welches vorallem aus Schnapsläden bestand. Offenbar ist eine Jeepfahrt ohne nicht zu ertragen 🙂
Hätten wir gewusst, was uns an dem Tag noch erwarten würde, hätten wir wohl auch eine Flasche Hochprozentiges eingepackt. Steil ging es hinauf auf einen Pass. Zudem war die Piste wieder viel zu sandig um anständig fahren zu können. Und der fiese Gegenwind verunmöglichte Velofahren schlussendlich vollends und wir schoben die Räder den ganzen Tag den Berg hoch. Wir brauchten viel länger als gedacht und werden von der Nacht eingeholt. Markus wirft kurz vor dem Eindunkeln schlauerweise das Handtuch und stellt sein Zelt am Wegrand auf. Tom und Luba wollen das angestrebte Ziel, die Geysiere noch erreichen und fahren im Licht der Stirnlampen weiter. Zusammen mit Jennifer und Vivianne werde ich in einer Station des Grenzmilitärs aufgenommen und wir geniessen den Komfort von einem beheizten Wohnkontainer, einer Küche und Strom während draussen der Wind noch immer wie ein Verrückter bläst und auch den Container zwischendurch zum schwanken bringt.
Die Geysire erreichen wir halt am nächsten Morgen (denn wiederum fehlten uns am Vortag die 10 km) und konnten den spektakulären Sonnenaufgang nur auf Lubas Kamera mitverfolgen. Der heutige Tag sollte ein kurzer, entspannter werden. Erstens ging es alles bergab und zweitens wollten wir nur 25 km weit fahren und in einem thermalen Pool an der nächsten Lagune zu relaxen (Merci Martin für den Tipp) und den Tag geniessen. Die Touren steuern alle die selben Quellen an und liegen dort dann schon fast aufeinander. Unser Pool war nur wenige Kilometer davon entfernt und wir hatten den Pool den ganzen Tag für uns alleine.
Weiter gings dann über die Wüste Dali bis an die Lagunen Verde und Blanca. Unsere Gruppe verzettelt sich etwas und ich erreiche die Lagunen gegen Mittag und will mir einen netten, windgeschützten Platz hinter einem Grossen Stein zum essen suchen. Aber es ist nicht zu glauben, denn mit dem horrenden Eintrittsgeld welches man für den Park eingentlich zu Bezahlen hat, wird nix investiert. Nicht einmal in Toiletten an den Aussichtspunkten wo täglich hunderte Touristen aus den Jeeps aussteigen und mal irgendwo hinscheissen müssen. Und so ist jeder, aber wirklich jeder taugliche Essensplatz um den Aussichtspunkt herum komplett verschissen und es stinkt wie in einer Kläranlage. Weit weg finde ich dann doch noch ein Plätzli und futtere etwas. Noch eine letzte windige und kalte Nacht verbringen wir auf über 4000m und brechen am nächsten Morgen früh auf, schleichen am Kontrollposten vorbei, denn wir hatten nun definitiv kein Interesse mehr den völlig überrissenen Gringopreis für den ‹Park› ohne Infrastruktur zu bezahlen, und nehmen die letzten Kilometer zur chilenischen Grenze in Angriff wo uns ein rassanter Downhill auf glattem Asphalt runter in die Hitze der Atacamawüste erwartete.
In San Pedro de Atacama knallt es uns wieder mal in eine andere Welt. Der Ort dient als Ausgangspunkt für verschiedenste Touren in der Atacama Region und zieht die Turis in Scharen an. Dem entsprechen findet man hier alles was das Herz begehrt. Für uns vor allem eine Dusche, ein Bett und ein kaltes Bier. Schlussendlich ist fast wieder die gesamte Belegschaft aus der Casa Ciclista aus Uyuni hier versammelt und wie lassen ein paar Tage die Seele und vor allem die Beine baumeln.
Ich hatte mir die Zeit in Bolivien ein bisschen anders vorgestellt. Auch wollte ich eigentlich nur etwa halb so viel Zeit in dem Land verbringen aber aufgrund von guten und schlechten Zufällen zog sich mein Aufenthalt um einiges in die Länge. Auch wurde es um einiges spannender. Vor allem die Proteste in La Paz liessen den Adrenalinspiegel immer schön hoch bleiben und es war bis jetzt das einzige mal auf der ganzen Reise wo ich mich kurzzeitig nicht mehr wirklich sicher gefühlt hatte. Aber es ist ja wieder mal alles gut gegangen 😀 no pasa nada.
Und die Lagunenroute…. naja…. Die Landschaft ist sicher unvergleichbar schön, aber fürs Velofahren ist die Strecke nun wirklich nicht gemacht. Ich glaube die Strecke wird unter der Kategorie ‹einmal und (wahrscheinlich) nie wieder› eingeordnet. Wir hatten aber wahrscheinlich Glück, denn aufgrund der Proteste waren angeblich rund 90% weniger Jeeps unterwegs. Das Erlebnis wäre bestimmt ein anderes gewesen, hätten wir die Strecke täglich mit hunderten lärmigen und staubaufwirbelnden Jeeps teilen müssen.